deutsch-deutsche
Clowns-Nummer

Aus dem Badener Lehrstück vom Einverständnis
von Bertolt Brecht

sowie Erinnerungen der Regierungschefs von zwei deutschen Staaten

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Skizze für die auf dem Alexanderplatz in Berlin erfolgte Vorführung auf einer Video-Wall
(3. Oktober 2000).


[Der Führer des gelernten Chors:

Betrachtet unsere Clownsnummer, in der Menschen einem Menschen helfen!]
 

19. Dezember 1989

Einser Heute ist es ein schöner Abend, Herr Modrow.

Zweier Was sagen Sie zu dem Abend, Herr Modrow.

Modrow Ich finde ihn nicht schön.

Einser Wollen Sie sich nicht setzen, Herr Modrow?

Zweier Hier ist ein Stuhl, Herr Modrow, warum antworten Sie uns jetzt nicht?

Einser Kannst Du nicht sehen: Herr Modrow wünscht den Mond zu betrachten.

Zweier Du, sag mir mal, warum kriechst du Herrn Modrow immer in den Arsch? Das belästigt Herrn Modrow.

Einser Weil Herr Modrow so stark ist, darum krieche ich Herrn Modrow in den Arsch.

Zweier Ich auch.

Modrow Sie / Wir erinnerten nur äußerlich an David und Goliath. Der Bundeskanzler und der Ministerpräsident, im Hotel Bellevue für Fotografen und Kameraleute auf Dresdner Barock plaziert, waren an diesem 19. Dezember 1989 nicht zum Kampf angetreten, sondern zum Gespräch. Geduldig hörte sich Kohl meine Forderung an, die BRD solle die Wirtschaft der DDR im Jahr 1990 mit einem Lastenausgleich in Höhe von 15 Mrd. DM stützen ... Der Bundeskanzler zeigte zu diesem Zeitpunkt grundsätzliches Verständnis für eine solche Position.

Januar 1990

Ein erstes Zeichen dafür, daß sich die Bonner Regierung nicht an die in Dresden verabredete Politik halten wollte, erhielt ich am 12. Januar. Während einer Beratungspause der Volkskammer traf ich mit Bundesfinanzminister Theo Waigel zusammen. Seine einzige Botschaft war, daß es die erhofften Zahlungen aus Bonn an die DDR nicht geben werde.

Kohl steht auf. Monolog:  Als ich in jener Zeit an einem Wochenende im Pfälzer Wald spazieren ging und meine Gedanken für die vor mir liegende Woche ordnete, da wurde für mich zur Gewißheit, daß der Weg zur Einheit, wie ich ihn in den zehn Punkten skizziert hatte, zuviel Zeit in Anspruch nehmen würde.

Modrow Seiters war es, der nach dem Dresdner Treffen nach Berlin kam und im Auftrag des Kanzlers eine »veränderte Situation« verkündete. Die Lage habe sich verändert  eine Vertragsgemeinschaft komme erst nach der Volkskammerwahl in Betracht. Um diese Wahlen zu gewinnen, muß so schnell wie möglich die Trumpfkarte D-Mark ausgespielt werden.

Seiters tritt zur Seite.

3. Februar 1990 ...

Kohl Am Wochenende trifft der Kanzler in einer Suite des Davoser Hotel Steigenberger Belvedere mit dem DDR-Ministerpräsidenten zusammen.

Bitte Herrn Modrow sich zu uns zu setzen.

Modrow  Mir ist heute nicht gut.

Kohl Da müssen Sie sich aufheitern, Herr Modrow.

Modrow Ich glaube, ich kann mich nicht mehr aufheitern.

Kohl Sie können mich auch nachts anrufen, Herr Modrow.

Modrow Was habe ich denn für eine Gesichtsfarbe?

Kohl Rosig, Herr Modrow, immer rosig. Wie geht es Herrn Honecker? Was braucht die DDR?

Modrow Sehen Sie, und ich glaubte, ich sähe weiß aus im Gesicht.

Kohl Das ist aber merkwürdig. Sie sagten, Sie meinen, Sie sähen weiß aus im Gesicht? Wenn ich Sie nämlich jetzt so ansehe, da muß ich schon sagen, ich meine jetzt auch, Sie sähen weiß aus im Gesicht.

Wir unterhielten uns eine knappe Stunde ...  Modrow sagte mir, er habe seine Überlegungen zur Zukunft Deutschlands weder mit seiner Regierung noch mit dem Runden Tisch abgestimmt. Nach seinen Gesprächen mit Michail Gorbatschow habe er diese persönliche Initiative ergriffen. Obwohl ich mit keinem Wort auf seine Initiative »Für Deutschland einig Vaterland« einging, hatte ich damals den Eindruck, als habe Modrow die DDR in Wahrheit immer noch nicht abgeschrieben ... Nun sei die Bundesrepublik gefordert.

Modrow Wo bleibt ihre Hilfe?

Kohl Er habe zugehört, aber keinen Zweifel dran gelassen, daß er nicht bereit sei, den Betrag zu befürworten. 

Seiters tritt wieder dazu.

Seiters Da würde ich mich aber setzen, Herr Modrow, wo Sie doch so aussehen.

Modrow Ich möchte mich heute nicht setzen.

Kohl Nein, nein, nicht setzen, auf keinen Fall setzen, lieber stehen bleiben.

Modrow Warum, meinen Sie, soll ich stehen bleiben?

Kohl zu Seiters: Er kann sich heute nicht setzen, weil er sonst vielleicht nie wieder aufstehen kann.

Modrow Ach Gott!

Kohl Hören Sie, er merkt es schon selber. Da bleibt Herr Modrow lieber stehen.

Modrow Sagen Sie, ich glaube fast, mein linker Fuß tut mir etwas weh.

Kohl Sehr?

Modrow Wie?

Kohl Tut er Ihnen sehr weh?

Modrow J a, er tut mir sehr weh ...

Seiters Das kommt vom Stehen.

Modrow Ja, soll ich mich setzen?

Kohl Nein, auf keinen Fall, das müssen wir vermeiden.

Seiters Wenn Ihnen der linke Fuß weh tut, dann gibt es nur eines: weg mit dem linken Fuß.

Kohl Und je rascher, desto besser.

Modrow Ja, wenn Sie glauben ...

Seiters Natürlich.

Sie sägen ihm den linken Fuß ab.

Modrow Einen Stock, bitte.

Sie geben ihm einen Stock.

Kohl Nun, können Sie jetzt besser stehen, Herr Modrow?

Modrow Ja, links.  Den  Fuß  müßt  ihr  mir aber geben, ich möchte ihn nicht verlieren.

Kohl Bitte, wenn Sie Mißtrauen haben ...

Seiters Wir können ja auch gehen ...

Modrow Nein, nein. Jetzt müßt ihr dableiben, weil ich doch nicht mehr gehen kann allein.

Kohl Hier ist der Fuß.

Modrow nimmt den Fuß unter den Arm.

Modrow Jetzt ist mir mein Stock heruntergefallen.

Seiters Dafür haben Sie ja jetzt Ihren Fuß wieder.

Beide lachen schallend.

Modrow Jetzt kann ich wirklich nicht mehr stehen. Denn jetzt fängt natürlich auch das andere Bein an, weh zu tun.

Kohl Das läßt sich denken.

Modrow Ich möchte Sie nicht mehr belästigen, als nötig ist, aber ohne den Stock kann ich schwer auskommen.

Seiters Bis wir den Stock aufheben, können wir Ihnen geradesogut das andere Bein absägen, das Ihnen ja sehr weh tut.

Modrow Ja, vielleicht ist es besser dann.

Sie sägen ihm das andere Bein ab. Modrow fällt um.

13. Februar 1990 ...

Kohl Als DDR-Ministerpräsident Modrow am 13. Februar mit siebzehn Ministern zu den verabredeten Konsultationen ins Bonner Kanzleramt kommt ..., geht es um den Beitritt nach Artikel 23, den die Gäste ablehnen.

Modrow Wir sind zu konstruktiver Zusammenarbeit bereit, bitte tun Sie das auch.

Kohl Modrow hatte es immer noch nicht aufgegeben, von uns zweistellige Milliardenbeträge zu verlangen ... Ich wiederholte ihm gegenüber jetzt auch offiziell unser Angebot, eine Wirtschafts- und Währungsunion zu schaffen, und schlug vor, unverzüglich eine innerdeutsche Expertenrunde hierzu einzusetzen, worauf er einging.

Modrow Jetzt kann ich nicht mehr aufstehen.

Kohl Scheußlich, und gerade das wollten wir unbedingt vermeiden, daß Sie sitzen.

Modrow Was?

Seiters Sie können nicht mehr aufstehen, Herr Modrow.

Modrow Sagen Sie mir das nicht, das tut mir weh.

Seiters Was soll ich nicht mehr sagen?

Modrow Das ...

Seiters Daß Sie nicht mehr aufstehen können?

Modrow Können Sie denn nicht Ihren Mund halten?

Seiters Nein, aber ich kann Ihnen Ihr linkes Ohr herausschrauben, dann hören Sie mich nicht mehr sagen, daß Sie nicht mehr aufstehen können.

Modrow Ja, vielleicht ist das besser.

Sie schrauben ihm sein linkes Ohr ab.

Modrow zu Kohl:   Jetzt kann ich nur mehr Sie hören. Seiters geht herüber auf die andere Seite. Bitte um das Ohr!  Wird wütend:  Und bitte auch um das fehlende zweite Bein. Das ist keine Art, einen kranken Menschen zu behandeln. Liefern Sie sofort die in Verlust geratenen Gliedmaßen an mich, ihren Eigentümer, zurück. Sie geben ihm auch das andere Bein unter den Arm und legen ihm das Ohr in den Schoß. Überhaupt, wenn Sie hier etwa mit mir Ihren Schabernack treiben wollen, so haben Sie sich gründlich ...  Was ist denn nur mit meinem Arm?

Seiters Das wird eben sein, weil Sie dies viele nutzlose Zeug schleppen.

Modrow leise:  Sicher. Könnt ihr es mir nicht abnehmen?

Seiters Aber wir können Ihnen ja den ganzen Arm abnehmen, das ist dann doch besser.

Modrow Ja, bitte, wenn ihr meint ...

Seiters Natürlich.

Sie sägen ihm den linken Arm ab.

Modrow Danke, ihr macht euch viel zuviel Mühe mit mir.

März 1990

Kohl So, Herr Modrow, da haben Sie alles, was Ihnen gehört, das kann Ihnen keiner mehr rauben. Sie legen ihm alle abgenommenen Gliedmaßen in den Schoß. Modrow betrachtet sie. Es war wenige Stunden vor meiner Abreise nach Leipzig, wo am 14. März die Abschlußkundgebung zu den Volkskammerwahlen stattfinden sollte, als mich François Mitterrand anrief ... Es schien mir in diesem Augenblick, als lebe die kleine Entente wieder auf ... Ich hätte den Eindruck, so sagte ich ihm, ... daß man Rücksicht auf die Gefühle aller Völker außer auf die der Deutschen nehme. Verärgert fuhr ich fort, daß ich betroffen sei über alles, was ich an Gehässigkeiten erlebte, und verwies auf die jüngste Ausgabe des französischen Enthüllungsmagazins Le Canard Enchaîné. Darin war berichtet worden, einer meiner engsten Mitarbeiter habe in London geäußert, das deutsch-französische Verhältnis kranke derzeit daran, daß zu viele Juden in Mitterrands Umgebung seien ... François Mitterrand bedankte sich gleich mehrfach für den menschlichen Aspekt, den ich eingebracht hätte ...

Modrow Komisch, ich habe so unangenehme Gedanken im Kopf. Ich bitte Sie   zu Kohl ,  mir  etwas Angenehmes zu sagen.

Kohl Gerne, Herr Modrow, wollen Sie eine Geschichte hören? Zwei Herren kommen aus einem Gasthaus. Da sie in einen furchtbaren Streit geraten, bewerfen sie sich mit Pferdeäpfeln, der eine trifft den anderen mit einem Pferdeapfel in den Mund, da sagt der andere: So, den lasse ich jetzt drinnen, bis die Polizei kommt.

Seiters lacht, Modrow lacht nicht.

Modrow Das ist keine schöne Geschichte. Können Sie mir nicht etwas Schönes erzählen, ich habe, wie gesagt, unangenehme Gedanken im Kopf.

Kohl Nein, leider, Herr Modrow, außer dieser Geschichte wüßte ich nichts mehr zu erzählen.

Seiters Aber wir können Ihnen ja den Kopf absägen, wenn Sie so dumme Gedanken drin haben.

Modrow Ja, bitte, vielleicht hilft das.

Sie sägen ihm die obere Kopfhälfte ab.

Kohl Wie ist Ihnen jetzt, Herr Modrow, ist Ihnen leichter?

Modrow Ja, viel leichter. Jetzt ist mir viel leichter. Nur, es friert mich sehr am Kopf.

Seiters Setzen Sie doch Ihren Hut auf.  Brüllt:  Hut aufsetzen!

Modrow Ich kann doch nicht herunterlangen.

Seiters Wollen Sie den Stock haben?

Modrow Ja bitte.  Er fischt nach dem Hut.   Jetzt ist mir der Stock heruntergefallen, da kann ich den Hut nicht erreichen. Es friert mich sehr stark.

Seiters Wenn wir Ihnen den Kopf überhaupt herausschraubten?

Modrow Ja, ich weiß nicht ...

Kohl Doch ...

Modrow Nein wirklich, ich weiß schon gar nichts mehr.

Seiters Eben deshalb.

Sie schrauben ihm den Kopf heraus. Herr Modrow fällt hintenüber.

Kohl Mein Weg in Richtung deutsche Einheit hatte nunmehr vor aller Welt seine Bestätigung durch die Menschen in der DDR selbst erfahren ... Ich sagte das George Bush, als er mich am frühen Nachmittag des 20. März anrief, um mir zum Wahlausgang zu gratulieren.

Modrow Halt!!  Leg mir doch einer die Hand auf die Stirn!

Kohl Wo?

Modrow Faß mich doch einer an der Hand.

Kohl Wo?

Seiters Ist Ihnen jetzt leichter, Herr Modrow?

Modrow Nein. Ich liege nämlich mit meinem Rücken auf einem Stein.

Seiters Ja, Herr Modrow, alles können Sie nicht haben.

Die beiden lachen schallend.

 

 

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Aktionen und Filme siehe auch: www.undanderes.de/html/Zusammenhange.html

 Clowns-Nummer

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